Andacht: Der couragierte Apotheker – Karfreitag in Zeiten von Corona
Wohl dem, der den Herrn fürchtet, der große Freude hat an seinen Geboten (Psalm 112,1)
Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. Denn ihr wart wie irrende Schafe; aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen (1. Petrus 2,24-25). Eine Andacht von Hans-Georg Pflümer
Viele werden ihn noch nicht kennen: Kenneth Burke. Kenneth wohnt seit Jahren im Haus gegenüber von Warren Shawn. Und jetzt, da Warren tot ist, hat sein Neffe Simon Leyland das Haus geerbt. Langsam freunden sie sich an: Simon, der Übersetzer, und Kenneth, der cellospielende Eigenbrödler. Und da beginnt Warren, seine Geschichte zu erzählen.
Es sind bestimmt noch nicht viele, die ihn kennen, denn er ist nicht „wirklich real“ wie wir zu sagen pflegen, denn er entstammt dem neuen Roman von Pascal Mercier „Das Gewicht der Worte“. Ob Warren im Roman noch häufig vorkommt, weiß ich nicht. Ich bin erst auf Seite 135, vermutlich schon.
Die Geschichte erzählt von Mut
Ich erzähle Ihnen am Karfreitag in Zeiten von Corona die Geschichte von Warren Shawn, weil sie von Courage erzählt, von Mut, von Ostermut. Von einem Mann, der sich couragiert für Menschen einsetzt, die es nötig haben, und der dabei ganz bewusst das Gesetz bricht. Doch lesen Sie selbst:
„Ich war Apotheker. Es war seine, meines Vaters Apotheke, ich habe sie von ihm übernommen. Im East End in Hackney, es wohnen viele Arbeiter dort, auch arme Leute, auch Ausländer ohne Papiere. Wenige Ärzte, lange Wartezeiten. Es kamen Leute herein, die Medikamente brauchten, die sie sich nicht leisten konnten. Offensichtliche Krankheiten, offensichtliche Symptome, ich sah, was auch ein Arzt gesehen hätte. Im ersten Jahr sagte ich, was der Apotheker sagen muss: ohne Rezept kein Medikament. Dann aber kam ein besonders harter Winter, viele Infektionskrankheiten, Lungenentzündung, gefährliche Dinge. Hustende Mütter ohne Papiere mit kranken Kindern. ‚Was sollen wir denn machen‘, sagten sie, ‚wir können doch zu keinem Arzt.‘ Da fing ich an, rezeptpflichtige Medikamente ohne Rezept herauszugeben. Sie halfen. Die Leute kamen und bedankten sich. Es sprach sich herum, und es wurden immer mehr. Ich fälschte die Bücher, meine Angestellte sah es und schwieg. ‚Sie riskieren viel‘, sagte sie. ‚Ich weiß‘, sagte ich, ‚aber es ist richtig so. Ungesetzlich, aber richtig.‘ (aus: Pascal Mercier, Das Gewicht der Worte, München, Hanser-Verlag 2020, S. 121f.)
Natürlich kommt es, wie es kommen muss. Das gesetzwidrige, aber menschenfreundliche Handeln des Apothekers fliegt auf. Er kommt mit einem blauen Auge davon: Bewährungsstrafe und Verlust der Apothekerzulassung. Courage hat ihren Preis. Nicht nur im Roman.
Oft kostet Courage sogar das Leben. Bekanntestes Beispiel ist Dietrich Bonhoeffer, der um der Courage willen sein Leben riskiert und verliert. Sein Todestag jährte sich am Mittwoch zum 75. Mal.
Warum musste dieser Mann sterben?
Heute ist Karfreitag. Der Tag, an dem Jesus sein Leben verliert. Ich verstehe das Kreuz, genauer gesagt den Tod jenes Liebespropheten aus Nazareth, weniger von der Sündenvergebung, sondern von der Ursache her. Warum musste dieser Mann sterben? Ich glaube nicht, dass das ein von vorneherein festgelegter Heilsplan war.
Er starb schlicht, weil er unbequem war. Diktaturen und Besatzer, wie die der Römer im alten Israel, machten schon immer und machen heute auch noch kurzen Prozess mit allen, die unbequem sind. Und das war Jesus. Er wollte den Menschen Gott nahe bringen. Und zwar einen, mit dem man nicht drohen kann, sondern, der um Liebe wirbt.
Für Feindesliebe und Courage braucht man Gottvertrauen
Er wollte die Menschen zueinander bringen. Und zwar so, dass es kein Unten und kein Oben mehr gibt. Und er hat immer eine Lanze für die Armen gebrochen, die Welt mit ihren Augen gesehen, gewusst, wo der Schuh drückt, wo Not ist. Und er hat geholfen. Und er hat sich nicht damit abgefunden die Welt in Gut und Böse einzuteilen, in Freunde und Feinde. Nächstenliebe ist leicht, versucht’s mal mit Feindesliebe.
Für solche Sätze braucht man Mut, Courage; für solche Taten braucht man Gottvertrauen. Und sie kommen bei den Herrschenden, bei denen, die die gute alte Ordnung lieben, nicht gut an. Viel zu schnell überlegen sie sich, wie sie den Unruhestifter wieder loswerden. Vielleicht sind die es ja, die wirklich nach Gottes Willen fragen: die Verschwörer gegen den Diktator und die couragierten Apotheker: Wohl dem, der den Herrn fürchtet, der große Freude hat an seinen Geboten (Psalm 121,1).
Und dass mit Karfreitag nicht Schluss ist, wissen wir alle: Gott hält seinen Unruhestifter nicht im Tod. Er weckt ihn auf. Aber das ist die andere Geschichte und die ist erst am Sonntag dran.
Einen besinnlichen Karfreitag wünscht Ihnen
Ihr Hans-Georg Pflümer, Schulpfarrer im Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Wiehl