Andacht: Wach sein, hellwach sein

Lehrtext für Dienstag, 21.4.2020: Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark! (1. Korinther 16, Vers 13). Eine Andacht von Martin Will

Am Sonntag las ich in „The Guardian“ einen Artikel mit folgender Überschrift, etwa zu übersetzen mit: „Warum lag Großbritannien in der Reaktion auf das Corona-Virus so falsch?“ Verschiedene Gründe wurden aufgeführt, wie zum Beispiel das hauptsächliche Augenmerk der Regierung auf dem Brexit, die Kabinettsumbildung und ein Schlingerkurs bei der Bekämpfung des Virus. Erschwerend sei hinzugekommen, dass nicht zur rechten Zeit Vorsorge im medizinischen Bereich getroffen worden sei, während man Lektionen in der Bekämpfung der Krankheit aus anderen Ländern der Welt in den Wind geschlagen habe. Ein Wissenschaftler stellte fest: „Vielleicht hätten einige von uns in die Öffentlichkeit gehen und deutlich sagen sollen: ,Es kommt eine Pandemie auf uns zu, die hunderttausenden Menschen das Leben kostet.‘“

Ich frage mich nun: Auf was ist eigentlich unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich gerichtet? Zeiten der Krise wünscht man sich ja nicht herbei, aber sie können schließlich auch für etwas gut sein. Das lässt sich aber meist erst mit gehörigem zeitlichem Abstand wahrnehmen. Wohl jeder und jede kann sich lebhaft an Entscheidungen oder vielleicht gerade an verpasste Entscheidungen erinnern, die man im Nachhinein tief bereut.

Seid mutig und seid stark

Aber letztlich bringt es dann ja wenig, in Gedanken ständig um Vergangenes und Verpasstes zu kreisen. Wichtiger ist es, seine Lektionen für das Hier und Jetzt und das zukünftige Leben zu lernen. In diesem Licht sehe ich die entschlossene Ermahnung aus dem Schlussabschnitt des 1. Korintherbriefs. Paulus ruft dazu auf, wach, hellwach zu sein. Christen sollen die Zeichen der Zeit erkennen.

Es gilt, aus dem Glauben heraus mutig zu sein, aufmerksam zu werden und zu bleiben für das, was um uns herum vorgeht und dran ist. „Bleibet hier und wachet mit mir“, so lautet die eindringliche Bitte Jesu, gerichtet an seine Jünger am Garten Gethsemane. Wie mühsam das sein kann, im entscheidenden Moment präsent, ganz da zu sein und Schweres mit auszuhalten, erfahren ja nicht nur die Jünger damals auf schmerzliche Weise. Wiederholt schlafen sie ein.

Nie habe ich diese Geschichte um Präsenz und Wachsein so deutlich vor Augen geführt bekommen wie in einer Stopp-Go-Sequenz, die Jugendliche für unseren Video-Gottesdienst am Karfreitag gefilmt hatten. Einfach und liebevoll mit Teelichtern in Szene gesetzt, die die wachen und die schlafenden Jünger mit Jesus darstellten.

Die Not der anderen wahrnehmen

Der Heilige Geist schenke uns die Wachheit und Stärke des Glaubens, auf die es gerade jetzt ankommt! Er helfe uns auch, dass wir im Licht des Evangeliums die Zeichen der Zeit erkennen und mutig eintreten gerade für die Vielen dieser Welt, die schon viel zu lange zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit erleiden, dies nicht zuletzt bedingt durch hemmungslosen Raubtierkaptitalismus. Nun sind sie doppelt gefährdet! Nehmen wir ihre Not wahr?

Nun muss ich einräumen, dass ich am Sonntag in einem ersten Impuls geneigt war, die konkrete Not eines anderen zu ignorieren. Ich hatte eine Textnachricht von einem Guide aus Namibia erhalten, der uns im vergangenen Jahr auf einer Tour durch dieses wunderschöne Land begleitet hat. Warum meldet er sich jetzt, fragte ich mich. Er will doch bestimmt etwas. Warum sonst erwähnte er, dass wegen Covid-19 auf viele Monate hinweg keine Touristen mehr ins Land kommen dürften und er nun ohne Arbeit sei! Wegdrücken, ignorieren, was geht mich das an?! Mir wurde heiß und kalt.

Wie würden Sie – wie würdet Ihr – nun entscheiden, wenn einem aus den pauschal „Vielen dieser Welt“ ein Gesicht, eine Stimme vor Augen und in den Ohren ist?

Freunde, dass der Mandelzweig

(Evangelisches Gesangbuch 651)

Ein blühender Mandelbaum steht zwar nicht im Vorgarten des Pfarrhauses in Eckenhagen, aber der Apfelbaum, dort gerade in voller Blüte, erinnert Martin Will an das biblische Symbol des Mandelbaums, der für die Wachheit steht.

Freunde, dass der Mandelzweig

wieder blüht und treibt,

ist das nicht ein Fingerzeig,

dass die Liebe bleibt?

Dass das Leben nicht verging,

so viel Blut auch schreit,

achtet dieses nicht gering

in der trübsten Zeit.

Tausende zerstampft der Krieg,

eine Welt vergeht.

Doch des Lebens Blütensieg

leicht im Winde weht.

Freunde, dass der Mandelzweig,

sich in Blüten wiegt,

bleibe uns ein Fingerzeig,

wie das Leben siegt.

(Text: Schalom Ben-Chorin 1942)

Ihr

Pfarrer Martin Will, Kirchengemeinde Eckenhagen