Andacht: Einer wird’s richten

Meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor, und meine Arme werden die Völker richten“ (Jesaja 51,5). Eine Andacht von Michael Striss, Pfarrer der Kirchengemeinde Lieberhausen

„Herr Richter, was spricht er?“ Eine wichtige Frage. Was ein Richter sagt, ist von ungleich größerer Bedeutung, als was „Hinz und Kunz“ von sich geben. Jedenfalls für einen vor Gericht stehenden Angeklagten. Denn für ihn hat das unter Umständen drastische Folgen.

Die heutige Losung aus dem AltenTestament lautet: „Meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor, und meine Arme werden die Völker richten.“ (Jesaja 51,5). Vielleicht geht es Ihnen damit ähnlich wie mir: Ich bleibe vor allem an dem Wort „richten“ hängen. Dass mir „Gerechtigkeit“ und „Heil“ von Gott her entgegenkommen, das nehme ich täglich viel zu selbstverständlich in Anspruch. Aber möchte ich auch von Gott „gerichtet“ werden?  

Derzeit fragen Menschen danach, ob Corona eine „Strafe Gottes“ sei. In den Medien beeilt sich mancher, dies vehement zu verneinen. Gewarnt wird vor Endzeitspezialisten, die es jetzt wieder ganz genau zu wissen meinen.

Das ist sicher richtig. Auf die Frage, ob Gott uns mit einem Virus strafen will, können wir deutlich antworten mit einen anderen Jesaja-Wort, das wir vielleicht vom Karfreitag noch im Ohr haben: „Die Strafe liegt auf IHM, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jesaja 53,5).

Strafrichter und Retter in einer Person

Das war ja gerade das Tröstliche an diesem ansonsten schweren Tag, dass der Sohn Gottes alles selbst auf sich nahm, was wir Menschen sonst als Konsequenzen unseres Handelns hätten tragen müssen. Aus diesem Grund wird der Karfreitag im englischen Sprachraum als „good friday“ bezeichnet.  

Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Auch ein Virus kann sich nicht einfach an dem allmächtigen Gott vorbeimogeln, ohne von ihm wahrgenommen zu werden. Und eine manchmal vereinfachte Verkündigung vom „lieben Gott“ kann die drängende Frage der Menschen, was Gott nun tatsächlich mit Corona zu tun habe, nicht wirklich beantworten.

Ja, Gott lässt Epidemien zu; wie andere Übel in dieser Welt ebenso, die nicht selten auch Folgen unseres unverantwortlichen Handelns sein können. Aber er steht in Jesus an der Seite derer, die darunter leiden. Vor allem aber möchte er, dass wir Krisen nutzen als Chance, umzudenken und umzukehren – von eigenen Abwegen neu hin zu ihm und dem, was er für uns als gut und richtig ansieht.

Da haben wir nun zu fragen, wo Korrektur nötig ist: im persönlichen Leben, in unserer Gesellschaft und der Politik, in der Gesetzgebung unseres Landes.

Uns richten heißt auch „ausrichten“ und „Richtung weisen“

Wer sich diesem Gott anvertraut, der darf tröstlich erkennen, dass hier Richter und Retter in einer Person zusammenkommen. Der muss daher vor dem Richterspruch keine Angst mehr haben. Dieser Richter ließ sich bereits selbst richten. Was er aber in uns „richten“ will, das hat auch mit „ausrichten“, „ins Lot bringen“ oder „die Richtung weisen“ zu tun. Interessant, wie sprachlich verwandt das alles ist.

Darauf könnte heute der Schwerpunkt unseres Gebets liegen: zu fragen, was es bei uns selbst neu zu justieren gibt.

In herzlicher Verbundenheit grüßt Sie

Pfarrer Michael Striss, Kirchengemeinde Lieberhausen